Daß an der Universität Tübingen die Forschungskooperation zwischen Medizinern und Naturwissenschaftlern seit vielen Jahren in Blüte steht, wird von externen Beobachtern, z. B. den Gutachtern des Wissenschaftsrats, gerne bestätigt. Beispiele dafür sind gemeinsame Sonderforschungsbereiche sowie zwei neue Sonderforschungsbereiche, die gerade im Entstehen sind, Forschergruppen, Graduiertenkollegs, das Interfakultäre Institut für Zellbiologie, Berufungen von Naturwissenschaftlern als Sektionsleiter in der medizinischen Fakultät etc. Wie wird sich die Forschungslandschaft durch die geplante Neustrukturierung der Hochschulmedizin und unter dem Druck von Haushaltskürzungen verändern? attempto befragte dazu Prof. Dr. Eberhart Zrenner, designierter Sprecher eines neuen Sonderforschungsbereichs und Geschäftsführender Direktor der Universitätsaugenklinik, und Prof. Dr. Hans-Ulrich Schnitzler, Zoologe und Sprecher des Graduiertenkollegs "Neurobiologie".
attempto: Herr Zrenner, welche 'Philosophie' steht hinter den Erfolgen der biomedizinischen Forschung in Tübingen?
Zrenner: Nahezu alle seit etwa 200 Jahren entwickelten wirksamen Krankheitserkennungs- und -behandlungsmöglichkeiten sind aus der intensiven Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Zusammenhängen entstanden. Es ist also die enge Symbiose von Naturwissenschaften und Medizin, die die Durchbrüche bei der Behandlung schwerer Krankheiten gebracht hat. Da konkrete Erfolge meistens auf der freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen einzelnen Medizinern und Naturwissenschaftlern beruhen, müssen gerade dafür die passenden Strukturen und das richtige Klima geschaffen werden. Medizinische Forschung kann aber langfristig erfolgreich nur in engem Verbund mit Krankenversorgung und Lehre betrieben werden, und diese Einheit muß bewahrt werden, um die Ergebnisse der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung umsetzen zu können. Die Mittel, die uns das Land für Forschung und Lehre zur Verfügung stellt, müssen allerdings auch dezidiert dafür eingesetzt werden. Dafür haben wir in Tübingen strukturelle Mechanismen der qualitätsbezogenen Vergabe von Forschungsmitteln entwickelt, z. B. das Fortüne-Programm zur Anfinanzierung von neuen Forschungsprojekten, bei dem wir Kollegen aus Naturwissenschaftlichen Fakultäten in die Entscheidungsgremien eingebunden haben, oder das gerade erst beschlossene Attempto-Programm, das jungen Wissenschaftlern den Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe ermöglicht. Mit diesen Forschungsförderungsinstrumenten, zu denen auch das Interdisziplinäre klinische Forschungszentrum gehört, das uns der Bund bewilligt hat, wollen wir die extern evaluierte Vergabe von Forschungsmitteln bis auf einen Anteil von 40 Prozent erhöhen und so eine gesteigerte Eigenverantwortung der Medizinischen Fakultät fⁿr den optimierten Mitteleinsatz unter Beweis stellen. Das wichtigste ist und bleibt aber eine Berufungspolitik, die auf wissenschaftliche Exzellenz in den Forschungsschwerpunkten unserer Fakultät ausgerichtet ist.
attempto: Herr Schnitzler, wie beurteilen Sie als biologischer Partner die Kooperation mit den Medizinern?
Schnitzler: Ich sehe gelungene Strukturen, eine solide wissenschaftliche Basis, eine Fakultät, deren wissenschaftlich interessierte Mitglieder sehr gut mit uns Naturwissenschaftlern kooperieren. Die bisherige Zusammenarbeit ist effektiv und erfolgt auf hohem wissenschaftlichen Niveau. Aufgrund der schlechten finanziellen Lage wird es aber zunehmend schwieriger, den jetzigen Stand zu halten oder gar Neues zu planen. Das Land geht mit seinen Wissenschaftlern generell nicht gut um, wenn es die minimale Grundausstattung, die wir zur Einwerbung von Drittmitteln und damit zur Aufrechterhaltung des Forschungsbetriebs brauchen, erheblich kürzt.
Zrenner: Im Bereich der Medizin müssen noch in diesem Jahr 24 Mio. DM eingespart werden, eine äußerst schwierige noch nie dagewesene Situation. Besonders schlimm ist es, daß dies vor allem den jungen wissenschaftlichen Nachwuchs trifft, denn die Mittel für die Mitarbeiter mit mehrjährigen Arbeitsverträgen sind festgelegt, so daß Einsparungen dazu führen, daß neue Forschungsprojekte auf Eis gelegt werden.
attempto: Was würde es bedeuten, wenn die für eine Zusammenarbeit notwendige finanzielle Basis weiter eingeschränkt wird?
Zrenner: Wir sind auf eine enge Kooperation mit der Biologie und den anderen Naturwissenschaften unbedingt angewiesen. Die meisten unserer Doktoranden aus den Drittmittelprojekten sind Naturwissenschaftler. Wenn nicht in den naturwissenschaftlichen Fakultäten Studierende so ausgebildet würden, daß sie sich anschließend mit Forschungsinteresse und Promotionseifer auf den steinigen Weg eines medizinischen Forschungsprojekts begeben, dann könnten wir längst nicht das leisten, was wir leisten.
Schnitzler: Hier sehe ich ein zusätzliches Problem: Wir sind zwar froh über die Chancen für unsere Biologen in den medizinischen Labors. Wir wünschen uns aber, daß sie dort nicht nur in untergeordneter Funktion für eine bestimmte Zeit eingesetzt werden, sondern daß sie eine faire Zukunftschance kriegen. Je höher die ausgeschriebenen Stelle, umso eher wird ein approbierter Arzt verlangt.
Zrenner: Im Bereich der Medizinischen Fakultät sind wahrscheinlich mehr als 100 Naturwissenschaftler als geschätzte wissenschaftliche Partner beschäftigt. Genau wie für die Mediziner gilt aber auch für die Naturwissenschaftler das Personalstrukturgesetz mit entsprechender Stellenbefristung; hier gibt es keinen Unterschied zwischen Medizinern und Naturwissenschaftlern. Für die Leitung von Abteilungen, die Krankenversorgung betreiben, kommen allerdings nur Mediziner infrage.
attempto: Kommt am Universitätsklinikum die medizinische Forschung in Konflikt mit der Krankenversorgung?
Zrenner: Es gibt in der Tat Stimmen, die eine Universitätsklinik ausschließlich als Ort der medizinischen Hochleistungsversorgung sehen möchten. Hier muß ein Umdenkungsprozeß einsetzen: Hochleistungsmedizin gibt es auch in den umliegenden akademischen Lehrkrankenhäusern. Wir als Universitätsklinikum müssen stärker das betonen, was speziell die universitäre Medizin leisten muß, nämlich die Weiterentwicklung der Medizin im wissenschaftlichen Sinn, die Beschäftigung mit den ungelösten Problemen, mit Patienten mit unklaren Krankheitsbildern. Das ist der einzigartige Auftrag der Hochschulmedizin, der sich nicht in einer optimalen Krankenversorgung begrenzen darf, die selbstverständlich Voraussetzung ist. Entsprechend müssen wir leistungsorientiert wissenschaftliche Schwerpunkte setzen mit entsprechender Ausstattung mit Forschungsmitteln. Auf der anderen Seite würde dann weniger Forschungsgeld aus dem Landeszuschuß für Bereiche zur Verfügung stehen, in denen die Krankenversorgung stärker vorherrscht und wenig Forschung betrieben wurde. Dorthin fließen dann allerdings mehr Mittel aus den Erlösen der Krankenversorgung. Darin liegt freilich Sprengstoff: Wie kann eine Fakultät für solche Umschichtungen mehrheitlich Verständnis aufbringen? Einen Grundkonsens darüber gibt es in Tübingen freilich schon. Schließlich müssen wir auch an die Vielfalt der Forschung denken: Wenig sinnvoll ist beispielsweise eine Forschungslandschaft als Wüste mit drei Hochhäusern, also nur drei großen Forschungsschwerpunkten, um die herum alles ausgetrocknet ist. Aber es darf auch keine Schrebergartensiedlung daraus werden.
Schnitzler: Mir gefällt die Professionalität, wie im klinischen Bereich Forschungsstrukturen geschaffen und in einer - naturgegeben fast immer schwer beweglichen - Fakultät auch durchgesetzt werden. In dieser Professionalität liegt aber auch die Gefahr, daß sich die Medizin immer stärker aus der Universität heraushebt, daß der Klinikbereich abdriftet. Im Moment wird das durch die Personen, die hier arbeiten, noch zusammengehalten. Ich halte es für wichtig, daß die Medizin trotz ihrer Besonderheiten mit der Universität verbunden bleiben muß.
Zrenner: Alle Medizinprofessoren, die ich kenne, wollen selbstverständlich Hochschullehrer mit allen dazugehörenden Pflichten bleiben und nicht ausschließlich Aufgaben als Chefarzt einer Klinik wahrnehmen. Ich sehe deshalb auch keine Trennungslinie zwischen der Universität und der Medizinischen Fakultät. Vom Hochschulgesetz her verläuft sie eher zwischen der Fakultät und dem Klinikum. Es kann nicht länger so bleiben, daß in dem großen Topf der Klinikfinanzierung die Forschungsmark von der Krankenversorgungsmark nicht mehr richtig unterschieden werden kann. Die Krankenversorgung steht aufgrund politischer Vorgaben unter Sparzwang, der sich aber nicht auf die Forschung auswirken darf.
Schnitzler: Die entscheidende Frage ist, ob die Entwicklungen in der Medizin, die im Moment in einer sehr starken Dynamik ablaufen, noch in Rückkoppelung mit der Universität geschehen oder sich verselbständigen. Eine Tendenz zur Ablösung wird in der Universität mit Sorge wahrgenommen. Ein Abdriften wäre letztendlich aber auch nicht gut für die Medizin. Wenigstens in allen entscheidenden Fragen, vor allem in der Strukturpolitik und in der Berufungspolitik, sollte eine enge Rückkoppelung zur Universität bleiben.
Zrenner: Es handelt sich sicher nicht um ein "Abdriften" sondern um das Suchen von neuen Wegen innerhalb unserer universitären Heimat. Wir haben in unserer Fakultät versucht, neue Lösungen zu finden, unsere Kompetenz als Wissenschaftler ganz konkret auch in der Steuerung, Förderung und Gestaltung unserer Forschungslandschaft und unsere Lehre einzubringen und dafür passende, gut funktionierende Instrumente zu zu schaffen. Warum sollen optimierte Lösungen für einzelne Fakultäten nicht unterschiedlich sein? Eine Gestaltungsvielfalt und eine hohe Eigenverantwortung derjenigen, die die Kompetenz in der Wissenschaften einbringen, kann auch für Tübingen nur gut sein. Wir können nicht nur auf das Heil von oben warten!
Das Gespräch führten Andrea Mecke und Michael Seifert
Prof. Dr. Eberhart Zrenner ist Ärztlicher Direktor der Abteilung
Augenheilkunde II der Universitäts-Augenklinik sowie deren
Geschäftsführender Direktor
Prof. Dr. Hans-Ulrich
Schnitzler hat den Lehrstuhl für Tierphysiologie am Zoologischen
Institut inne
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